VChUTEMAS (1920–1926): Hochschule der Künste in materialistischer Wende
Natalia Ganahl
Keramikstudio
Wir freuen uns, diesen Vortrag als Auftakt
für eine besondere theoretische Auseinandersetzung zu präsentieren – aus der Perspektive der Werkstätten.
Im
Anschluss an den Vortrag laden wir Sie herzlich zu einer Diskussionsrunde ein, in der alle Teilnehmer*innen ihre Perspektiven
und Anregungen einbringen können, insbesondere in Bezug auf das geplante Werkstättenhaus.
Unser Ziel ist es, dass
dieser Vortrag inspiriert, anregt und uns gemeinsam zu neuen Ideen und Konzepten bewegt.
Ab 1918 entstanden im
nachrevolutionären Moskau die Freien Staatlichen Kunstwerkstätten (SVOMAS), 1920 reorganisiert in die Höhere Staatliche Künstlerisch-technische
Werkstätte (VChUTEMAS) die handwerkliche Erfahrungen der Gewerben mit Visionen des sozialistischen Lebensaufbaus, studentischer
Selbstverwaltung und hierarchieloser proletarischer Kulturproduktion verbanden. Die sozialistische Neuerfindung der Kunstschule
realisierte sich in den transdisziplinären Experimenten der Verschaltung von materieller Produktion und Theoriebildung ausgehend
von marxistischen und anarcho-kommunistischen Gesellschaftsdiskursen. Im radikal erweiterten Feld der Kunst spiegelte sich
dies in einer Neuorientierung auf die „primären“ Bereiche der materiell-ökonomischen Bedingungen, der wissenschaftlichen Daten,
der natürlichen Ressourcen und industrieller Materialien, energetischer und physiologischer Prozesse. Diese komplexe
und widersprüchliche Suche nach einem neuen materialistischen Paradigma für die Kunstausbildung war Teil einer onto-epistemischen
Wende, die mit unserer heutigen materialistischen Wende vergleichbar ist. Die frühe sowjetische Avantgarde dient uns heute
als lebendiges Archiv neuer erkenntnistheoretischer Ansätze zu Materie/Form-Relationen, Ontologien der ökologischen Wechselbeziehung,
Politiken der Gleichstellung, experimentellen Formen der Institutionalisierung nach horizontalen Prinzipien. In einem
exemplarischen Überblick über die intensivste Periode der Kunstwerkstätten (1920-1926) beleuchten wir einige Ansätze, Programme,
Konzepte und Akteure, die für unsere heutige Wende anschlussfähig sind.