Statement von Vizerektorin Eva Maria Stadler

30. Mai 2022
Replik von Eva Maria Stadler (Vizerektorin für Ausstellungen und Wissenstransfer) auf den am 23.05.2022 im Kurier erschienenen Artikel Der österreichische Kulturbetrieb wird von Deutschen dominiert von Thomas Trenkler.
 
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Herr Trenkler ist einsam
 
Nachdem der am 22. Mai 2022 im Kurier erschienene, unerträglich heimattümelnde Artikel über unsere Nachbarn keinen Widerhall gefunden hat,  - zu langweilig - ruft Herr Trenkler erneut in die österreichische Welt: er möchte streiten. Nun gut: Ausgerechnet in Zeiten wie diesen, wo unweit von Österreich ein Krieg im Gange ist, der uns alle betrifft, und der klar gemacht hat, welche Bedeutung die Konstruktion Europa hat, wie wichtig es ist , über Grenzen hinweg an einem Leben zu arbeiten, das  ein Miteinander und nicht ein Gegeneinander zum Ziel hat – ausgerechnet jetzt möchte Herr Trenkler Deutsche und Österreicher*innen auseinander dividieren. Wie unnötig! Noch nicht einmal dreißig Jahre ist es her, seitdem Österreich als Teil der Europäischen Union begonnen hat an dem Projekt Europa mitzuarbeiten. In dieser kurzen Zeit hat Österreich einen ungemeinen Aufschwung genommen. Überall ist sie zu spüren, die Weltoffenheit und Neugier für Dinge, die außerhalb dieses kleines Landes geschahen und geschehen. Es gibt viel zu lernen, zu erfahren und erfreulicherweise wird dies auch hierzulande erkannt und praktiziert, auch wenn es noch viel Luft nach oben gibt, was ein Bewusstsein für globale Zusammenhänge betrifft. Dass Österreich auf manchen Gebieten inzwischen internationale Anerkennung genießt, ist wunderbar – und lässt hoffen. Warum also jetzt eine ‚heimische Kultur’ imaginieren, die es gar nicht gibt? Wenn Jakob Lena Knebl und Ashley Hans Sheirl deren schillernde, lustvolle und kluge Arbeiten in diesem Jahr auf der Biennale in Venedig gezeigt werden, im nächsten Jahr in einer Personale im Palais du Tokyo gezeigt werden, dann ja wohl nicht, weil sie eine heimische Kultur, von der niemand weiß, was das ist,  repräsentieren.
Ausgerechnet jetzt also, wo Österreich nach vielen Jahrzehnten nun endlich über mehr Vielfalt verfügt – wieso um Himmels willen,  fängt Herr Trenkler an, Erbsen zu zählen in der Kunstgeschichte, der Literatur,  an den  Theatern und Universitäten. Abgesehen von der Tatsache, dass es üblich ist, dass Stellen in diesen Institutionen in aufwändigen demokratischen Verfahren besetzt werden, woran schwerlich Kritik zu üben ist, bedeutet es eine ungemeine Aufwertung für Kunst und Wissenschaft, genauso wie für die Wirtschaft und schlicht das tägliche Leben, dass Menschen aus anderen Ländern hier leben, studieren und  arbeiten.  
Dass Trenklers Polemik in erster Linie Menschen aus Deutschland adressiert, ist besonders schmerzlich, und zeigt wie tief die Überzeugung sitzt, dass Österreich nach dem Anschluss an das nationalsozialistische Deutschland als Opfer und nicht als Täter zu sehen ist. Wir müssen uns in Erinnerung rufen, dass Franz Vranitzky der erste österreichische Politiker war, der diesen Mythos kurz vor Österreichs Beitritt zur Europäischen Union erst im Jahr 1991 – 46 Jahre (sic!) nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs öffentlich korrigierte. Europa ist jung und Europa ist Arbeit. Es gibt noch viel zu lernen, Herr Trenkler.
 
Univ.Prof. Mag.phil. Eva Maria Stadler
Vizerektorin an der Universität für angewandte Kunst Wien