10. Dezember 2024
Im
Gedenken an Hans Felix Kraus, der von 1930 bis 1935 an der Kunstgewerbeschule, der heutigen Angewandten studiert hatte, schenkte
Helen Kraus der Kunstsammlung Arbeiten ihres Vaters. Der Künstler war schon während des Studiums prominent in Ausstellungen
vertreten und zudem als Illustrator, Kunstkritiker und Kurator erfolgreich tätig. Seine Karriere fand allerdings mit dem „Anschluss“
Österreichs im März 1938 ein jähes Ende. Er floh über Umwege nach New York, wo er weiterhin als Graphiker und Verleger arbeitete.
Am 2. September 2024 übergab Helen Kraus in Anwesenheit von Rektorin Petra Schaper Rinkel zahlreiche Holzschnitte, Lithographien,
Collagen, sowie von Kraus gestaltete Bücher, die – mit wenigen Ausnahmen – in Wien bis zu seiner Flucht entstanden waren.
Doch wer war der heute völlig unbekannte Hans Felix Kraus und wie kam es zu der Schenkung? Die Vorgeschichte
dazu geht mehr als zehn Jahre zurück und begann mit einem E-Mail an den damaligen Rektor Gerald Bast und in Folge an Kunstsammlung
und Archiv:
„My father, Hans Felix Kraus, graduated from the Kunstgewerbeschule in June 1935. […] With the
Anschluss, my father made his way to Lisbon and then to New York City. He lived mostly in New York, dying in Mexico in 1973.
My father’s work shows the influences of his training as an artist at the Kunstgewerbeschule and his immersion in the artistic
ideas surrounding him. Throughout his life, my father continued to produce book illustrations, paintings, books, articles,
and art objects.” Mit diesen Zeilen wandte sich Helen Kraus im April 2013 an die Angewandte. Ein Monat später war sie
aus Boston nach Wien gereist, um den Spuren ihres Vaters zu folgen. Die Ausbeute ihrer Recherchen in Kunstsammlung und Archiv
der Angewandten war allerdings mager: Neben den Studienunterlagen waren gerade einmal zwei kleinformatige, doch bemerkenswerte
Holzschnitte zu finden: eine formal reduzierte, sehr humorvolle Wirtshausschlägerei (1933) und die Einladung zur eigenen Ausstellung
in der Wiener Secession (1934). Fragen kamen von beiden Seiten: Wo kann man noch weiter recherchieren? Und umgekehrt: Was
hat der Künstler noch gemacht? Weitere Arbeiten im Familienbesitz aus dem Jahr 1934 machten es schlagartig klar: Hans Felix
Kraus ist eine Wiederentdeckung wert!
Genau zehn Jahre später, im Mai 2023, wurde in Anwesenheit der extra aus
den USA angereisten Familie eine kleine Ausstellung mit Arbeiten von Hans Felix Kraus eröffnet und war im Rahmen der Gedenkinitiative
„Sonderfall“ Angewandte.
Im Fokus zu sehen (Kuratorin: Bernadette Reinhold). Gezeigt wurden die Illustrationen zu Alphonse Daudets Roman Tartarin
de Tarascon (1872) von 1934, die in ihrem Entstehungsjahr in der Secession zu sehen waren – der 18jährige Kraus war zu dem
Zeitpunkt noch Student der Kunstgewerbeschule. Sie offenbaren eine einzigartige, witzig-fantasievolle Bildsprache und raffinierte
Abstrahierung des Figurativen. Vor dem Hintergrund der Ausschaltung des Parlaments 1933, der blutigen Februarkämpfe 1934 und
des Führerkults um Engelbert Dollfuß widmete sich der (kultur-)politisch engagierte Künstler nicht zufällig dem Maulhelden
und tragikomischen Löwenjäger Tartarin und illustrierte zeitgleich die Geschichten des Lügenbarons Münchhausen. Nach knapp
90 Jahren wurde der Tartarin-Zyklus erstmals wieder ausgestellt: es sollte nach seiner Flucht aus Wien 1938/39 überhaupt die
erste, leider nur posthume Ausstellung von Hans Felix Kraus sein.
Hans Felix Kraus begann 1930 mit jugendlichen
14 Jahren an der Kunstgewerbeschule bei Franz Čižek, Bertold Löffler und Wilhelm Müller-Hoffmann zu studieren und zählte zu
den begabtesten Student:innen. Seine Arbeiten wurden bald mehrfach in der Secession (1934), im Österreichischen Museum für
Kunst und Industrie (heute: MAK), in einigen avancierten Wiener Galerien, aber auch in Rom und auf der Weltausstellung in
Brüssel (1935) ausgestellt. Er arbeitete zudem als Kurator, etwa einer Schau zu japanischen Kinderzeichnungen (Galerie Würthle
Wien), als viel beschäftigter Kunstkritiker für u.a. deutsche und niederländische Zeitschriften und war im international orientierten
Österreichischen Kulturbund aktiv. Der junge Künstler war bestens vernetzt: So war er wiederholt als Illustrator für die Büchergilde
Gutenberg tätig, die Teil der (deutschen) Arbeiterbewegung war. Er hatte aber auch Kontakte zur heimischen Tanzszene, wie
eine noch 1938 veröffentlichte Lithographie-Serie zu Gertrud Kraus demonstriert. Sie war neben Grete Wiesenthal und Gertrud
Bodenstein eine der Reformerinnen des freien Tanzes in Wien und wanderte aus politischen Gründen 1934 nach Palästina aus.
H. F. Kraus war umfassend literarisch und kunsthistorisch gebildet, wobei er als Künstler sowie als Autor eine große Affinität
zu nahöstlicher und asiatischer Kunst zeigte. Seine minutiösen Holzschnitte zum Zyklus
Das Lied der Erde oder dem
Märchen
Der Fischer und seine Frau erweisen sich als Mikrokosmos im Kleinformat.
Mit dem „Anschluss“ Österreichs
an Nazi-Deutschland im März 1938 war – wie erwähnt – die Karriere des 22-Jährigen mit einem Schlag beendet. Nach einer strapaziösen
Flucht über Italien, Frankreich und Spanien nach Portugal bestieg er mit seiner Mutter Elsa Scheibner (1886–1972), die vermutlich
als Journalistin in Wien gearbeitet hatte, im März 1939 in Lissabon ein Schiff nach Southampton. Von dort aus ging es wenige
Tage später nach New York. Viele Jahre später erzählte er seiner Tochter Helen über die Flucht mit dem Zug in Italien: “I
was talking to a young man in my compartment on the train. We were talking about politics. All of a sudden, I realized he
had some sort of Mussolini label on his clothing. ‘Now, I’m sunk,’ he thought. Nothing happened.“
1In
New York war er weiterhin als Künstler, Autor und Verleger tätig, arbeitete unter anderem für
La Voix de France,
die Zeitung der weltweit agierenden Bewegung gegen das Vichy-Regime, was eventuell auf während der Flucht geknüpfte Kontakte
schließen lässt. Er war mit Alexander Archipenko und vielen Künstlern und Intellektuellen auch in Mittel- und Südamerika befreundet,
übersiedelte nach Mexiko, wo er mit nicht einmal 60 Jahren starb.
Kraus ist heute selbst in Fachkreisen völlig
unbekannt – der Stachel des Vergessens sitzt tief.
Die erwähnte Ausstellung (Mai – Juni 2023), die Publikation
„Sonderfall“
Angewandte. Die Universität für angewandte Kunst Wien im Austrofaschismus, Nationalsozialismus und in der Nachkriegszeit
und nicht zuletzt die Sichtbarmachung der großzügigen Schenkung von Helen Kraus sind ein Versuch, den weitgehend in Vergessenheit
geratenen Künstler ins kollektive Gedächtnis zurückzuholen und ihm als kritische Stimme der österreichischen Moderne Gehör
zu verschaffen.
[von: Bernadette Reinhold]
1 Helen Kraus to Bernadette Reinhold, E-Mail February 21st,
2023